Worst-Case-Szenario im Projektmanagement

Sie haben Material bestellt und warten nun gespannt auf die Lieferung. In dieser Phase möglicher Unwägbarkeiten tauchen viele Gedanken und Sorgen auf: Wird die Materiallieferung reibungslos ablaufen? Werden alle Zollformalitäten problemlos abgewickelt? Diese Unsicherheiten können sich auf Ihr Projekt auswirken. Eine effektive Methode, sich aus diesem Gedankenkarussell zu befreien und sich nicht ständig mit möglichen Entwicklungen auseinandersetzen zu müssen, ist die proaktive Identifizierung und Planung von Worst-Case-Szenarien.
Fünf Personen beim Brainstorming mit Notizen auf Glas.

Inhalt

Was ist ein Worst-Case-Szenario?

Die Entwicklung eines Worst-Case-Szenarios basiert auf einer gründlichen Datenanalyse und der Berücksichtigung von Erfahrungen aus der Vergangenheit. Durch diesen Prozess wird ein mögliches Ereignis skizziert, um sich gezielt auf mögliche Entwicklungen in der Zukunft vorzubereiten.
Eine bewährte Methode zur Entwicklung eines Worst-Case-Szenarios ist die Szenariotechnik. Dabei handelt es sich um die Konstruktion einer hypothetischen Abfolge von Ereignissen mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit auf den Entscheidungsprozess zu lenken. Durch die Anwendung dieser Technik können drei verschiedene Szenarien entwickelt werden, die es ermöglichen, sich umfassend auf verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten vorzubereiten.

Die verschiedenen Szenarien: Worst-Case, Best-Case und Middle-Case

Das erste zu erstellende Szenario ist das Best-Case-Szenario. Diese Prognose basiert auf sehr optimistischen Annahmen und positiven Entwicklungen, um eine potenziell günstige Zukunftssituation zu skizzieren.
Im Gegensatz dazu steht das Worst-Case-Szenario, das die negativste Entwicklung eines Projekts prognostiziert. Dieses Szenario wird unter pessimistischen Annahmen erstellt, um eine möglichst ungünstige Situation zu modellieren. Es ermöglicht, sich auf mögliche Schwierigkeiten vorzubereiten.
Zwischen diesen beiden Extremen liegt das Middle-Case-Szenario. Es stellt den zu erwartenden Zustand des Projekts dar, basierend auf plausiblen und als wahrscheinlich eingeschätzten Entwicklungen. Es bietet eine realistische Einschätzung der mittelfristigen Zukunft des Projekts.
Alle Szenarien berücksichtigen realistische Ereignisse, um eine umfassende Vorbereitung auf alle Eventualitäten zu gewährleisten. Während Best-Case und Worst-Case zwei gegensätzliche Extreme darstellen, ist das Eintreten von Extremen statistisch gesehen eher selten. In der Regel liegt eine Normalverteilung vor, wobei das wahrscheinlichste Ereignis in der Mitte liegt. Im Bereich des Projektmanagements sind diese Szenarien äußerst nützlich, um frühzeitig vor möglichen Ereignissen gewarnt zu werden und schnell Lösungen parat zu haben, um rechtzeitig handeln zu können. Es gibt jedoch noch weitere positive Aspekte, die mit diesem Ansatz verbunden sind.

Die Bedeutung des Worst-Case-Szenarios im Projektmanagement

Die Anwendung von Worst-Case-Szenarien erweist sich im Projektmanagement als äußerst vielseitig und hilfreich. Ihre Flexibilität ermöglicht die Bewertung einer Vielzahl von Szenarien zu einem bestimmten Zeitpunkt im Projektverlauf. Auf der Grundlage dieser Bewertungen können gezielte Maßnahmen ergriffen werden, insbesondere im Rahmen des Risikomanagements. Durch den Prozess der Szenarienbildung werden potenzielle Risiken erkannt und analysiert, was durch die Entwicklung geeigneter Lösungsansätze zu einer Minimierung oder gar Vermeidung dieser Risiken führen kann. Dies trägt dazu bei, das Unternehmen vor erheblichen Verlusten zu schützen und den erfolgreichen Abschluss eines Projektes sicherzustellen.
Die Bedeutung dieses Ansatzes zeigt sich auch in der Entscheidungsfindung. Stellt sich bei der Analyse heraus, dass ein mögliches Szenario und die damit verbundenen Auswirkungen nicht mit den Projektzielen vereinbar sind, kann das Szenario vermieden oder die Planung entsprechend angepasst werden. Dabei ist zu beachten, dass dies sowohl positive als auch negative Aspekte mit sich bringt, wie bereits bei der Erwähnung der Szenarienvermeidung deutlich wurde. Dies ermöglicht eine realistische Einschätzung der Machbarkeit des Projektes, die Identifikation möglicher Alternativen und die Ausrichtung auf bisher nicht berücksichtigte Entwicklungen.

Strategien zur Entwicklung und Analyse von Worst-Case-Szenarien

Wie bereits erwähnt, bietet die Szenariotechnik einen strukturierten Ansatz zur Entwicklung von Worst-Case-, Best-Case- und Middle-Case-Szenarien. Dieser Prozess basiert auf einer gründlichen Analyse des aktuellen Projektstatus, einschließlich der Ausgangssituation und der definierten Ziele. Darauf aufbauend erfolgt die Identifikation möglicher Einflussfaktoren auf die Projektentwicklung. Zur Kategorisierung und Definition werden neutrale Indikatoren, Kennzahlen oder Deskriptoren ausgewählt, wobei Deskriptoren speziell zur Klassifizierung oder Definition von Projekten verwendet werden und auf Zahlen, Daten, Fakten und Erfahrungen basieren.
Für jeden dieser Deskriptoren wird dann analysiert, wie er sich in Zukunft entwickeln könnte; diese möglichen Entwicklungen werden als Projektionen bezeichnet. Diese Projektionen sollten verschiedene Entwicklungsszenarien darstellen. In der nächsten Phase wird untersucht, welche Projektionen miteinander kombiniert werden können, um klare und definierte Szenarien zu erstellen. Auf diese Weise entstehen mehrere Szenarien, die unterschiedliche Entwicklungspfade für das Projekt aufzeigen.

Beispiel:

Die Entwicklung eines Produktes, insbesondere wenn Material benötigt wird, beinhaltet verschiedene Einflussfaktoren, wobei der Zoll und der damit verbundene Import des Materials einen entscheidenden Deskriptor darstellt. Aus diesem Deskriptor ergeben sich verschiedene Projektionen, die mögliche Szenarien für die Projektentwicklung darstellen:
 
  • Das gesamte Material wird zurückgehalten und darf nicht importiert werden.
  • Das Material wird zurückgehalten, bis der Zoll bezahlt ist.
  • Ein Teil des Materials darf importiert werden.
  • Ein Teil des Materials darf importiert werden, der andere Teil nur gegen Zahlung der Zollgebühren.
  • Alles darf nach Kontrolle importiert werden.
  • Es findet keine Kontrolle statt und das Material kommt rechtzeitig an.
Der nächste Schritt besteht darin, zu prüfen, wie diese Deskriptoren zusammenpassen, um sie in verschiedene Szenarien wie Worst-Case, Best-Case-oder Middle-Case umzuwandeln.
Es wurde bereits gezeigt, dass die Verwendung von Szenarien dazu dienen kann, bestimmte Aspekte des Projekts anders zu behandeln, insbesondere wenn die negativen Aspekte überwiegen. Im vorliegenden Beispiel könnte die Überlegung sein, das Material aus Deutschland oder Europa zu beziehen. Dies würde jedoch wiederum neue Deskriptoren, Projektionen und Szenarien erfordern.
Aufgrund der Komplexität und der Vielzahl der zu berücksichtigenden Informationen kann der manuelle Überblick leicht verloren gehen. Zur Unterstützung der Analyse steht daher moderne Software zur Verfügung. Diese Werkzeuge ermöglichen es, einzelne Deskriptoren zu vergleichen, um festzustellen, ob sie sich zu einem bestimmten Szenario zusammenfügen lassen oder nicht. Diese Software erleichtert die Analyse, indem sie dazu beiträgt, Zusammenhänge effizienter zu erkennen und die Entscheidungsfindung zu verbessern.

Fallstricke vermeiden: Wann das Worst-Case-Denken schadet

Auch wenn die Entwicklung von Szenarien und die darauf aufbauende Suche nach Lösungen ein vielversprechender Ansatz zu sein scheint, gibt es einige wichtige Punkte, die beachtet werden sollten, um eine fundierte Analyse zu gewährleisten:

Festhalten an Möglichkeiten: Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Szenarien potenzielle Entwicklungen darstellen. Die Tatsache, dass ein Szenario möglich ist, bedeutet nicht notwendigerweise, dass es eintritt. Ein übermäßiges Festhalten an möglichen Szenarien kann langfristig mehr Schaden als Nutzen anrichten.

Unvorhergesehene Entwicklungen: Trotz umfassender Planung und Berücksichtigung verschiedener Szenarien besteht immer die Möglichkeit, dass unerwartete Ereignisse eintreten. In solchen Fällen ist es wichtig, auf Erfahrungen aus ähnlichen Situationen in der Vergangenheit zurückzugreifen, um adäquate Lösungen zu finden. Dies unterstreicht die Bedeutung des kontinuierlichen Lernens und der Nutzung von Wissen in zukünftigen Projekten.

Bewusste Vermeidung von Szenarien: Die bewusste Vermeidung von Szenarien ist möglich, es sollte jedoch darauf geachtet werden, dass dies nicht dazu führt, dass Szenarien mit der Absicht erstellt werden, das Projekt in eine bestimmte Richtung zu lenken. Die Erstellung von Szenarien sollte im Team erfolgen, um objektive und vielfältige Perspektiven einzubeziehen.

Komplexität des Prozesses: Der beschriebene Prozess, insbesondere unter Verwendung unterstützender Software, ist komplex und zeitaufwändig. Diese Komplexität gewährleistet jedoch eine genaue Analyse. Es ist wichtig, Ressourcen und Zeit angemessen zu berücksichtigen, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen.

Fazit: Die balancierte Betrachtung von Szenarien als Schlüssel zum Erfolg

Wie viele Instrumente des Projektmanagements erfordert auch die Anwendung des Worst-Case-Szenarios eine sorgfältige Abwägung. Die Erstellung ist zeitaufwendig, aber der Nutzen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Risikomanagement, kann beträchtlich sein. Szenarien prognostizieren zwar nicht die Zukunft, bieten aber die Möglichkeit, mögliche Zukünfte in der Gegenwart zu erkennen, um entsprechend vorbereitet zu sein. Dies ermöglicht die Entwicklung von Lösungsansätzen, um flexibel auf sich verändernde Situationen reagieren zu können. Darüber hinaus trägt die Anwendung von Worst-Case-Szenarien dazu bei, das Gedankenkarussell im Kopf zu verlangsamen. Die Notwendigkeit, ständig alle möglichen Entwicklungen im Kopf zu haben, wird reduziert. Dies schafft nicht nur Klarheit, sondern ermöglicht auch eine proaktivere Herangehensweise an potenzielle Herausforderungen. Die Analyse von Worst-Case-Szenarien bietet somit nicht nur einen präventiven Ansatz, sondern auch eine psychologische Entlastung für die Projektbeteiligten, da sie besser auf Unwägbarkeiten vorbereitet sind.

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Autor: IAPM intern
Schlagworte: Projektmanagement, Worst-Case

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