Weniger ist mehr – Critical Chain

Geht es Ihnen auch so, dass Sie wirklich beeindruckt sind und anerkennend nicken, wenn Sie von einem Projekt hören, das zeitgerecht und auch noch innerhalb des beschlossenen Budgets abgeschlossen wurde? Das ist nämlich nicht zwingend die Regel, sondern eher die Ausnahme. Das prominenteste Beispiel ist sicher der Berliner Flughafen, aber auch all die zahlreichen kleinen Projekte, ob aus der Baubranche oder anderen, sprengen oft Budget- und Zeitplan. Aber warum ist das so? Und welche Strategien gibt es, um dem entgegenzuwirken?
Eine junge Frau sitzt in einem abgedunkelten Zimmer vor einem PC und trinkt Kaffee

Der Critical Chain Ansatz

Was bedeutet Critical Chain und wie kann dieses Prinzip dabei helfen, Projektbudgets und Zeitpläne einzuhalten? Critical Chain ist der englische Fachbegriff für den „Kritischen Pfad“. Dieser wurde bereits in den 1950er Jahren thematisiert. Was damals eine neue Erkenntnis war, ist heute selbstverständlich: Wer seinen kritischen Pfad betrachten will, muss nicht nur die fachlichen und sachlichen Zusammenhänge einbeziehen, sondern auch die Ressourcen und unterschiedlichen Abhängigkeiten beachten. Ein klassisches Beispiel: Zwei Aufgaben, die eigentlich parallel laufen können, müssen in einem bestimmten Unternehmen von derselben Person durchgeführt werden, weil nur diese Person die nötigen Fachkenntnisse besitzt. Was im Zeitplan parallel dargestellt ist, dauert doppelt so lange, weil diese Person eben nur an einer Aufgabe auf einmal arbeiten kann. Aus diesen logischen Überlegungen hat sich das Prinzip des kritischen Weges entwickelt – im Rahmen eines US-amerikanischen Raumfahrtprojektes. Der Begriff Chain, Kette, weist darauf hin, dass sich kritische Aufgaben aneinanderreihen, wenn sie voneinander abhängig sind. Dabei kann diese Abhängigkeit unterschiedlicher Art sein.
 

Critical Chain heute

Heute wird der Begriff Critical Chain im Projektmanagement ganz konkret in der Multiprojektorganisation für die engpassorientierte Steuerung mehrerer Projekte verwendet. Das ist immer dann sinnvoll, wenn in einem Unternehmen begrenzte Ressourcen für mehrere Projekten gleichzeitig eingesetzt werden müssen. Ziel des Unternehmens muss es sein, für alle Projekte, die großen und die kleinen, die prioritären und die untergeordneten, einen realistischen Zeitplan zu erstellen. Die Ressourcen sollen optimal genutzt werden und die Projekte alle so schnell wie möglich abgeschlossen werden. Nicht selten entstehen ernsthafte Konflikte, weil Aufträge angenommen werden, wenn sich die Chance dazu ergibt und nicht erst, wenn wieder Ressourcen frei geworden sind. Das bedeutet, dass alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Multitasking machen müssen. Die Konsequenzen: Projekte dauern länger, als sie müssten, wenn sie vorrangig mit vollen Ressourcen bearbeitet würden.

Arbeitszeitfalle Multitasking

Multitasking ist häufig der Grund dafür, dass an Qualität und termingerechter Fertigstellung Abstriche gemacht werden müssen. Oft hat dies zur Folge, dass die Führungsebene den Eindruck bekommt, Projekte könnten besser und schneller erledigt werden. Das wiederum führt nicht selten dazu, dass das Unternehmen noch mehr Projekte einplant. Das kann fatal sein, denn Studien haben gezeigt, dass durch ausgedehntes Multitasking 30 bis hin zu 70 Prozent der Arbeitszeit verloren gehen. Das sind erschreckende Zahlen.

Weniger ist mehr

Hier kommt die Frage ins Spiel, wie man es also erreichen kann, dass die vorhandenen Mitarbeiter mehr Projekte zeitgerecht und qualitativ zufriedenstellend beenden. Die klare Antwort lautet: Es müssen weniger Projekte gleichzeitig laufen. Die Mitarbeiter müssen die Möglichkeit haben, sich auf eines oder einige wenige Projekte zu konzentrieren, um sich nicht zu verzetteln und um effizient arbeiten zu können. Auf diese Weise stellen die Mitarbeiter tatsächlich mehr Projekte fertig.
 
Generell kann man in der Führungsebene nach einem Vier-Punkte-Plan vorgehen:
 
  1. Eine Liste erstellen, in der alle laufenden Projekte erfasst sind.
  2. Priorisieren der Projekte auf der Liste.
  3. Einen Strich ziehen in der Mitte der Liste.
  4. Alles, was sich unterhalb der Mittellinie befindet, wird zunächst on hold gestellt und erst dann bearbeitet, wenn die Projekte weiter oben auf der Liste Ressourcen freiwerden lassen, sodass Projekte nachrücken können.

Konsequenzen der Umstellung

Die Projekte, die nun für eine Weile on hold gesetzt werden, müssen warten. Sie verursachen aber dadurch keine Unterbrechungen oder Störungen mehr im Alltag der Menschen, die an den priorisierten Projekten arbeiten. Das führt dazu, dass die Prioritäten schneller zu Ende gebracht werden – deutlich schneller. Dann können die weniger „wichtigen“ Projekte aufrücken und werden oft sogar noch früher fertig gestellt, als wenn sie einfach zwischendurch mitgelaufen wären, weil sich nun endlich jemand auch ernsthaft und ausreichend zeitintensiv mit einem der weniger wichtigen Projekte befassen kann. In der Regel kann eine solche Vorgehensweise die Produktivität in einem Unternehmen um 20 bis 30 Prozent steigern. Selbstverständlich muss sich aber auch jemand im Unternehmen um die Priorisierung kümmern – und darum, dass die Entscheidungen getroffen werden: Welches Projekt wird ausgesetzt, welches wird vorangetrieben, welches wird wann reaktiviert? Überlassen Sie diese Entscheidungen nicht den Projektteams oder Projektmanagern selbst. Treffen Sie diese in einem eigenen Gremium, in der Führungsebene. Die Verantwortung, ob ein Projekt zwei Wochen Verspätung haben wird statt möglicherweise sechs Wochen Verspätung, sollte auf der höheren Management-Ebene getroffen werden, sodass die eigentlichen Projektbeteiligten sich voll und ganz ihren Projekten widmen können.
Autorin: IAPM intern

Schlagworte: Projektmanagement, Ratgeber, Tip, Ressourcenmanagement, Führungskultur, Budgetplanung

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