Das Enneagramm im Projektmanagement

Während des Daily Stand-up Meetings schweifen zwei Teammitglieder wieder und wieder vom Thema ab und greifen einen Konflikt von vor einigen Tagen auf. Um zu verstehen, warum diese beiden Persönlichkeitstypen so miteinander umgehen und warum es immer wieder zu Konflikten kommt, kann das Enneagramm eingesetzt werden.
Das Enneagramm (von altgriechisch ennea – „neun“ und gramma „das Geschriebene“) ist ein Persönlichkeitsmodell, mit dessen Hilfe sich Menschen neun verschiedenen Persönlichkeitstypen zuordnen lassen. Über seine Struktur können mit dem Enneagramm Einordnungen vorgenommen und Erklärungen für die Teamentwicklung gefunden werden. 
Ein rotes Papierflugzeug fliegt nach oben rechts, umgeben von acht weißen Papierflugzeugen auf hellblauem Hintergrund.

Inhalt

Geschichte des Enneagramms

Das Enneagramm könnte seinen Ursprung in der Antike, aber auch in der christlichen oder islamischen Mystik haben. Tatsächlich sind seine Ursprünge nicht bekannt und alles, was darüber geschrieben wird, ist letztlich reine Spekulation. 
Die heutige Form des Enneagramms geht auf Georges I. Gurdjieff zurück, der es 1916 erstmals vorstellte. Er beschrieb das Enneagramm als prozessorientiertes Werkzeug zur Selbstentwicklung, aber noch nicht als Instrument zur Symbolisierung verschiedener Persönlichkeitstypen. Als Modell zur Typisierung der Persönlichkeit wurde es erstmals in den 1960er Jahren von Oscar Ichazo verwendet. 

Anwendung des Enneagramms

Das Ennegramm kann als ein auf den Menschen beschränktes Typenmodell angewendet werden. Es zeigt einerseits Veränderungspotenziale und Entwicklungsmöglichkeiten auf und kann somit z. B. zur persönlichen Weiterentwicklung und Selbsterkenntnis genutzt werden, zeigt aber auch die gegenseitige Beeinflussung der Persönlichkeitstypen. Manche Typen wirken auf andere positiv und fördernd, andere negativ und einschränkend. Das Wissen darüber kann z. B. in der Teamarbeit im Projekt genutzt werden, um Konflikte zwischen Teammitgliedern besser zu verstehen. Es kann aber auch genutzt werden, um mehr über die Motivation bestimmter Persönlichkeitstypen zu erfahren. Seine Anwendung ermöglicht es also, intra- und interpersonelle Bereiche tief und umfassend, aber auch sehr präzise zu erforschen. 

Klassifikation der Typen

Die neun Persönlichkeitstypen, für die in der Praxis verschiedene Begriffe benutzt werden, lassen sich folgendermaßen beschreiben: 

Enneagramm Typ 1: Perfektionist - Moralist – Organisator - Erneuerer

Dieser Typ hält sich gerne an Regeln und versucht, den eigenen hohen Standards gerecht zu werden, sei es im Beruf, bei Hobbys oder im Umgang mit anderen Menschen. Es werden Vorkehrungen getroffen, um Fehler zu vermeiden, und man ist frustriert, wenn das Ergebnis nicht den hohen Erwartungen entspricht. Die Liebe zum Detail und der Wunsch nach fehlerfreien Ergebnissen lassen diesen Typ für andere als zielstrebigen Perfektionisten erscheinen, da er hart arbeitet, seriös und ehrlich ist. Die innere Furcht, den höchsten moralischen Ansprüchen nicht zu genügen, führt oft zu einem hohen Maß an Disziplin und Selbstkontrolle und zu einem harten Umgang mit sich selbst. Dieser Typ zeigt oft eine unglaubliche Konzentrationsfähigkeit und eine natürliche Neigung, unterstützend zu sein.

Selbstbild: Ich habe Recht.
Hauptmotivation: Das Bestreben, sich so korrekt wie möglich zu verhalten, gut und würdig zu sein und ein Leben mit hohen Zielen zu führen.
Herausforderung: Zorn

Enneagramm Typ 2: Helfer - Altruist - Großer Freund

Dieser Typ ist freundlich, aufgeschlossen, großzügig und fürsorglich gegenüber anderen. Neben der Bereitschaft zu helfen und sich in das Leben anderer einzubringen, steht der Wunsch im Mittelpunkt, in den Augen anderer einen echten Wert zu haben und geliebt zu werden. Die Angst, allein und ungeliebt zu sein, hindert ihn oft daran, Nein zu sagen, und manchmal möchte er zu sehr im Mittelpunkt des Lebens anderer stehen, was ihn dramatisch und besitzergreifend erscheinen lässt. Gleichzeitig ist dieser Typ oft ein ausgezeichnetes Teammitglied, ehrenamtlicher Mitarbeiter und Aktivist.

Selbstbild: Ich helfe.
Hauptmotivation: Sich geliebt und geschätzt fühlen, hierfür anderen Liebe und Fürsorge zeigen.
Herausforderung: Stolz und Hochmut

Enneagramm Typ 3: Erfolgsmensch - Motivator - Macher - Statustyp

Dieser Typ zeigt eine beeindruckende Bandbreite an Leistungen in verschiedenen Lebensbereichen, die das Ergebnis des Wunsches sind, wichtig zu sein und sich durch Leistung auszuzeichnen. Die Leistungen werden durch einen straffen Arbeitsplan, hohe Aktivität und Bewegung erreicht. Auf andere wirkt dies engagiert, ehrgeizig, selbstbewusst und charismatisch. Hinter diesem Image verbergen sich jedoch mangelndes Selbstvertrauen und Versagensängste. Gesellschaftliche Gepflogenheiten werden peinlich genau eingehalten, um einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen. Die Tatsache, dass diese Person sehr zielorientiert ist, passt gut zu ihrer Anpassungsfähigkeit und hindert sie nicht daran, zu improvisieren.

Selbstbild: Ich habe Erfolg.
Hauptmotivation: In allen Bereichen des Lebens nach Erfolg streben, um Aufmerksamkeit und Bewunderung zu erlangen und sich zu beweisen.
Herausforderung: Lüge

Enneagramm Typ 4: Individualist - Romantiker - Ästhet - Kreativer

Typ 4 hat das Bedürfnis, etwas Besonderes zu sein und ist sehr auf Individualität bedacht. Dieser Typ strebt nach Ästhetik und Außergewöhnlichkeit, manchmal auch nach Exzentrik, Extravaganz und Exotik. Die „leichte Melancholie“ liegt wie ein Nebel über dem Leben und zeichnet sich durch Sensibilität, Ausdrucksstärke und künstlerische Begabung aus. Manchmal bringt sie aber auch Trauer und Leid statt Glück. Durch das Bewusstsein für diese Charaktermerkmale konzentriert man sich noch mehr darauf und findet genau die Nische, in der man seine Individualität voll ausleben und sich die Wertschätzung anderer verdienen kann.

Selbstbild: Ich bin anders.
Hauptmotivation: Streben nach Einzigartigkeit, Individualität entwickeln und diese zum Ausdruck bringen, um zu zeigen, dass man anders ist.
Herausforderung: Neid 

Enneagramm Typ 5: Beobachter - Denker - Experte

Typ 5 neigt dazu, neue, oft provokante und innovative Ideen zu entwickeln. Der Entdeckungsdrang führt dazu, dass alles bis ins kleinste Detail untersucht wird. Bevor etwas angesprochen wird, wird gründlich darüber nachgedacht, um gut formulierte und aufschlussreiche Antworten geben zu können. Gerade durch das große fundierte Wissen auf dem Interessengebiet wird auf Details geachtet und gut zugehört. Gleichzeitig zeichnet sich dieser Typ durch Unabhängigkeit aus und zieht klare Grenzen zwischen Privatleben und Beruf, Familie und Freunden. Der Kontakt zur Außenwelt wird auf ein Minimum reduziert, da dies Energie raubt und die Konzentration auf wichtige Dinge behindert. Auf andere kann dieser Typ geheimnisvoll und isoliert wirken, weil ein minimalistischer Lebensstil geführt wird und die innere Welt gut vor Fremden geschützt ist.

Selbstbild: Ich blicke durch.
Hauptmotivation: Lernen, um so viel wie möglich zu wissen und ein tiefes Verständnis der Themen zu erlangen, sowie unabhängig und kompetent wirken.
Herausforderung: Gier

Enneagramm Typ 6: Loyaler Netzwerker - Realist – ängstlicher Skeptiker

Typ 6 ist gekennzeichnet durch das Bedürfnis nach Sicherheit und die Art und Weise, wie man sich ständig auf Probleme vorbereitet, die einem begegnen könnten und die es zu vermeiden gilt. Für diesen Typ ist die Welt voller Gefahren und deshalb ist dieser immer auf der Hut. Um zur Ruhe zu kommen, wird ständig nach einer Quelle gesucht, z. B. einem Buch oder einer Organisation, die verlässliche Antworten geben kann. Im Beruf ist dieser Typ verantwortungsbewusst und ein ausgezeichneter Teamplayer. In Beziehungen kann sich der Partner auf die Loyalität des anderen verlassen. Freundschaften sind sehr herzlich und tief, und geliebte Menschen erhalten viel Unterstützung. Wenn die Verbindung zu einer Gruppe oder Gemeinschaft nicht gut ist, kann dieser Typ ängstlich und misstrauisch wirken.

Selbstbild: Ich tue meine Pflicht.
Hauptmotivation: Streben nach Sicherheit und Geborgenheit in einer Gruppe, der man vertrauen kann, sowie vollumfänglich loyal gegenüber dieser Gemeinschaft sein.
Herausforderung: Angst 

Enneagramm Typ 7: Enthusiast - Abenteurer – Tausendsassa - Genießer

Das Leben ist ein Geschenk und Optimismus und kindliche Freude sind keine Fremdwörter. Neugier, Spontanität, ein breites Spektrum an Interessen und immer auf dem Sprung zu sein, zeichnen diesen Typus aus, denn das Leben soll in vollen Zügen genossen werden. Das kann manchmal etwas zerstreut wirken, vor allem, wenn man auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzen möchte. Entwaffnender Charme, Entspannung, gute Laune, Kreativität, Fröhlichkeit und Verspieltheit sind Eigenschaften, die vor Angst und Schmerz schützen. 

Selbstbild: Ich bin glücklich.
Hauptmotivation: Um Langeweile und Leiden zu vermeiden, sucht man nach Inspiration und Glück.
Herausforderung: Unmäßigkeit

Enneagramm Typ 8: Chef - Herausforderer

Dieser Typ wirkt selbstbewusst, stark und mächtig und dieses Machtgefühl kann sich auch auf die Umgebung übertragen. Wenn etwas falsch, ungerecht oder jemand unehrlich ist, wird dies relativ leicht erkannt und mit Entschlossenheit und manchmal auch Streitlust beantwortet. Selbstbewusstes, energisches, willensstarkes und manchmal sogar störrisches Auftreten, Leidenschaft, Entschlossenheit und Ausdauer beeindrucken und bringen andere dazu, den Anweisungen zu folgen. Schwächere Teammitglieder, die Unterstützung brauchen, erhalten diese, indem sich schützend vor sie gestellt wird. 

Selbstbild: Ich bin stark.
Hauptmotivation: Um sich selbst zu schützen und jede Schwäche in sich zu unterdrücken, muss man das eigene Leben unter Kontrolle haben, um Herr über die Zukunft zu sein.
Herausforderung: Schamlosigkeit 

Enneagramm Typ 9: Friedensstifter – zurückhaltender Mediator - Heiler

Diese Persönlichkeit kann von freundlich und zurückhaltend bis unabhängig und stark reichen. Auf die Umgebung wirkt dieser Typ beruhigend, aufgeschlossen und in sich ruhend. Neben einer gewissen Hartnäckigkeit zeichnet sich dieser Typ aber auch durch die Fähigkeit aus, Frieden zu stiften. Andere werden so akzeptiert, wie sie sind, und das gibt ihnen das Gefühl, verstanden und angenommen zu werden. Daher können diese Menschen als unparteiische Vermittler eingesetzt werden, da die positiven Aspekte beider Seiten gesehen und geschätzt werden können.

Selbstbild: Ich bin zufrieden.
Hauptmotivation: Das Bedürfnis nach innerer Ausgeglichenheit und Friedenssicherung prägt diesen Menschen. Mit anderen Menschen auszukommen und Konflikte zu vermeiden, ist das Ziel.
Herausforderung: Trägheit

Kritik am Enneagramm

Das Enneagramm ist unbestritten ein machtvolles Werkzeug, doch wie jedes Werkzeug kann es zum Guten und zum Schlechten angewendet werden. Doch was wird am Enneagramm kritisiert oder als problematisch empfunden? Im Wesentlichen sind vier Kritikpunkte auszumachen:

Menschen werden in Kästen abgelegt

Das Enneagramm stellt niemanden in eine Schublade, sondern zeigt auf, in welcher Schublade sich jemand befindet und erklärt die Welt aus dieser Perspektive. Es beschreibt die Grundausstattung des Kastens und welche Regeln und Gesetze darin gelten. Es zeigt aber auch, dass es noch andere Kästen gibt, die ganz anders sind, und es zeigt Wege aus einem Kasten heraus.

Man geht nicht mehr vorurteilsfrei auf andere zu

Das ist zwar richtig, aber die Bildung von Vorurteilen zur Entwicklung von Überlebensstrategien ist eine wichtige Aufgabe unseres Gehirns. Es lässt den Prozess der „Vorurteilsbildung“ ständig und unbewusst ablaufen und beeinflusst unbewusst unsere Reaktionsmuster und unser Verhalten. Ob mit oder ohne Enneagramm, frei von Vorurteilen können wir nie sein, aber die Arbeit mit dem Enneagramm ermöglicht es, subjektive, vorurteilsbeladene Wahrnehmungen zu überprüfen und zu objektivieren.

Neun Typen können niemals die Vielfalt des Menschseins abbilden

Es ist richtig, dass das Enneagramm nicht den einzelnen Menschen in seiner Individualität beschreiben kann. Es beschreibt den Menschen nur in seinem musterhaften, sich wiederholenden, automatisch ablaufenden Bereich. Wenn wir aber im automatischen Modus sind, dann kann uns das Enneagramm sehr gut darstellen.

Ist das Enneagramm überhaupt wissenschaftlich fundiert?

Es gibt viele Studien zum Thema Enneagramm, ob sie dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit genügen, kann leider nicht überprüft werden. Bekannt ist jedoch, dass sich das Enneagramm seit Jahrzehnten bewährt hat, Orientierung, Erklärungen und Impulse für die persönliche Entwicklung bietet und hilft, Beziehungen besser zu gestalten.

Fazit

Das Enneagramm kann aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und in vielen Bereichen eingesetzt werden. Die Ziele, die damit verfolgt werden können, hängen natürlich von den Menschen und ihren Problemstellungen ab, die es anwenden. Ob zur persönlichen Selbstentwicklung oder zur Teambildung, ob zur Identifikation von Motivatoren oder zur Konfliktbewältigung, die Einsatzmöglichkeiten des Enneagramms sind vielfältig. Das Enneagramm gehört daher unbedingt in den Werkzeugkoffer eines jeden Projektmanagers.

Enneagramm - Ein Bild vom Autor
Autor: Dr. Roland Ottmann
Schlagworte: Projektmanagement, Enneagramm

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