Projektmanagementtrainer der Zukunft: Guide on the Side?

Vor knapp drei Jahren hat auch die Projektmanagementtrainer die Corona-Pandemie mit voller Wucht getroffen. Über Nacht wurden bestehende Aufträge storniert, mussten Formate und Arbeitsweisen neu entwickelt und ausprobiert werden. Einige Kollegen und Kolleginnen sagten, dass das alles rasch vorbeigehen werde und man nur abwarten müsse. Andere wiederum sahen die Chance, sich dem Zug der Zeit zu öffnen und digitale Trainings anzubieten, ohne lange Vorlaufzeit und ohne die Gewissheit, dass das auch die eigene berufliche Basis erhalten könnte.
Ein Tunnel.

Inhalt

Experten in eigener Sache

Wie wir wissen, ist Corona lange geblieben, wir wissen allerdings auch, dass sich vieles in der „Digitalen Republik Deutschland“ als längst nicht so rosig erwiesen hat, wie manche versprachen. Die allermeisten Trainerkollegen mussten sich dabei selber helfen oder taten sich mit anderen zusammen, um aus der Not eine Tugend zu machen. Methodisch gesichertes Wissen über die richtige Form eines digital basierten modernen Projektmanagementtrainings war kaum von außen einzukaufen, es war die Zeit der Selbsthilfe, des Ausprobierens. Auch die bekannten Projektmanagementverbände und Zertifizierungsstellen, die bis dahin auf Präsenztrainings setzten, waren in dieser Hinsicht blank, Ausbildung fand wegen der drängenden Lage nicht statt, jede und jeder war sich selbst Experte in eigener Sache - Überleben in Zeiten des „rasenden Stillstands“ [1].

Neue Potenziale und Kreativität

Mittlerweile lichtet sich dieser Nebel und die Zusammenhänge werden klarer. Viele haben Erfahrungen mit MS Teams, WebEx, BigBlueButton und anderen Systemen gemacht, wissen, dass digitales Training in Sachen Projektmanagement keine leichte Sache ist, da vor allem die soziale Nähe, die unmittelbaren Kontakte und Side Talks fehlen, da niemand im digitalen Raum dafür die entsprechenden Nischen findet. Viele haben wiederum erfahren, dass die Teilnehmenden stärker als früher an digitale Vermittlungsformen gewöhnt sind und dass die Technik, bei aller Bedeutung, am Ende doch nicht die wichtigste Rolle spielt. Und viele haben an sich selbst entdeckt, dass der Sprung ins kalte Wasser die eigene Rolle als Lehrende nicht gefährdet, sondern neue Potenziale und Kreativitäten geweckt hat.

Inverted Classroom als Konzept für Projektmanagementtrainings und -coachings

Jetzt ist auch die Zeit gekommen, sich Zeit für mehr theoretische Fundierungen bei Projektmanagementtrainings zu nehmen, sei es, um auf eine Zertifizierung vorzubereiten, also in mehreren Sitzungen einen längeren Zeitraum zu gestalten, sei es, um in kürzeren Coachings Projektleitende zu beraten, Führungskräfte zu coachen oder Projektteams Grundlagen zu vermitteln. In diesem Zusammenhang sei allen, die am Konzept des so genannten „Inverted Classroom“, also des „umgekehrten Klassenzimmers“ interessiert sind, die Arbeit von Marion Rink aus Bielefeld empfohlen. Sie hat ihre als Dissertation angenommene Arbeit unter dem Titel „Selbstreguliertes Lernen im Inverted Classroom. Lernmotivation in ingenieurswissenschaftlichen Studiengängen“ unlängst publiziert [2].

Hinter diesem eher sperrigen Titel verbirgt sich für Projektmanagementtrainer eine äußerst lohnenswerte Lektüre. Obwohl diese Arbeit (wie üblich) im Kontext einer Hochschule geforscht und junge Studierende in ihrer Lernmotivation untersucht hat, lassen sich auch für Lehrende in der Erwachsenenbildung, die on the job arbeiten und es durchweg mit Berufstätigen zwischen 30 und 45 Jahren zu tun haben, viele gute Einsichten und Anregungen gewinnen. Rinks Erkenntnisinteresse war es, selbstgesteuertes Lernen im Zusammenhang mit der Selbstbestimmungstheorie von Ryan und Deci zu untersuchen. Dazu analysierte sie in einem sehr weit gefassten methodischen Rahmen sechs ingenieurswissenschaftliche Lehrveranstaltungen an einer Fachhochschule mit Hilfe von teilnehmender Beobachtung und Leitfadeninterviews. Ein solcher qualitativer Ansatz ist leider immer noch eher die Ausnahme auf dem Feld der empirischen Bildungsforschung, es überwiegen standardisierte quantitative Verfahren. Rink wollte aber die Motivationslagen und Begründungsmuster von selbstgesteuertem Lernen erfragen, und das tut der Untersuchung sichtbar gut. 

Das Konzept des Inverted Classroom ist nicht ganz neu und hat auch schon im Feld des Projektmanagements ein wenig wissenschaftliche Beachtung gefunden [3], hat aber durch Corona einen deutlichen Schub bekommen. Kerngedanke ist, das traditionelle Lehr- und Lernverhalten umzudrehen: anders als in Schule oder vielen Hochschulen kommen die „Lernenden“ zu einer Präsenzphase erst nach einer vorbereitenden Phase zusammen, in der sie zumeist online mit Hilfe von digitalen Lernmitteln (Videos, Audiofiles, Skripten, Texten u.ä.) selbst gesteuert und eigenverantwortlich an den Grundlagen arbeiten. Die „Lehrenden“ müssen dazu umdenken und neue Wege gehen: sie stellen zunächst geeignete Lernmaterialien zur Verfügung. Dann fungieren sie in der Präsenzphase als Lernprozessbegleitende, die den Lernenden bei der Vertiefung, bei Problemlösungen, bei Anwendungen des Gelernten und bei Nachfragen zur Seite stehen. 

Dies ist für Projektmanagementtrainer zwar nicht grundsätzlich neu, frei nach dem Wort von Peter Sloterdijk, dass ein Trainer „will, dass Du willst“, war Teilnehmendenaktivierung immer ein Thema. Rink zeigt aber auf breitem empirischem Material, wie eine solche explizite Rolle als „guide on the side“ dazu geeignet ist, den Selbststeuerungsprozess bei Lernenden zu befördern. Ihre Befunde stützen das Konzept der Selbstbestimmungstheorie, die „Kompetenz“, „Autonomie“ sowie „soziale Eingebundenheit“ als Grundpfeiler einer individuellen Motivation ansieht. Auf alle diese Faktoren wirkt ein selbstgesteuertes Lernen positiv ein. Wer erfolgreich Projektmanagement-Trainings der Zukunft gestalten möchte, sei auf diese Erfolgsfaktoren nachdrücklich verwiesen und dazu ermuntert, Inverted Classroom-Konzepte aufzusetzen.

Short comings eines lernendenzentrierten Ansatzes

Rink diskutiert dankenswerter Weise auch die short comings, die Mängel, eines solchen lernendenzentrierten Ansatzes und kann vier Aspekte benennen. Sie zeigt, dass (1) „Anfangssituationen“, die schon Karlheinz A. Geißler beschrieben hat, schwierig sind, da oft erst langsam klar wird, wie stark es auf die Lernenden ankommen wird.  Für die Teilnehmenden an Projektmanagementseminaren bedeutet dies, dass sie (2) im Sinne der Individualisierungstheorie in die Pole Position der Erfolgsverantwortung rücken müssen. Wer sich nicht vorbereitet, der wird auch von „Vertiefungsphasen“ in Präsenz nichts haben. In Rinks Studie sagten viele Studierende, dass sie eine solche Eigenverantwortung von der Schule her nicht kennen und dass es erhebliche Zeit brauchte, um diesen neuen Modus zu internalisieren, ein geeignetes Zeitmanagement aufzubauen und sich selber auf den Weg zu machen. Das dürfte bei Berufstätigen in der Projektwirtschaft nicht völlig anders sein. Die Trainer sind dann auch nicht mehr für den Lernerfolg im traditionellen Sinne verantwortlich, auch wenn so mancher Personaler meint, dass sie dafür ja schließlich bezahlt würden. Für die Lehrenden wiederum ergibt sich (3) die Notwendigkeit, vor dem Seminar gute Lernmaterialien zu entwickeln und auch in die digitale Produktion solcher Materialien einzusteigen. Vielen fällt das nicht leicht, vor allem, wenn die eigene Digitalkompetenz geringer ausfällt als die der Lernenden. Besonders wichtig ist nach Rink daneben ein (4) ausgebautes und permanentes Feedback, das die Lehrenden zur Verfügung stellen müssen und das viel Zeit erfordert. Auch hier müssen Lehrende umdenken, Beratung anstelle von reinem „Vormachen“ organisieren und überhaupt aus der frontalen Stellung des traditionellen Lehrbetriebs herauskommen. Die Zeiten des „sage on the stage“ sind nach den Worten Rinks wohl endgültig vorbei.

Querbezüge für Projektmanagementtrainer

Für Trainer im Projektmanagement ergeben sich insgesamt viele interessante Querbezüge und Transfermöglichkeiten aus Rinks Arbeit. Ihre umfangreiche Dokumentation der Leitfadengespräche mit den Studierenden ist eine wahre Fundgrube für die Trainingspraxis, die es zu lesen lohnt, zumal Rink diesen Thesaurus selber kaum ausbeuten konnte. 
Vor allem aber lohnt sich in Zukunft eine Untersuchung der Trainingspraxis im Bereich der kommerziellen Erwachsenenbildung, in Firmenschulungen und offenen Kursen, die sich traditionell einer wissenschaftlichen Untersuchung eher verschließen. Dann wird zu klären sein, wie weit die Selbstbestimmung wirklich reicht, wenn es enge Prüfungsvorgaben und hohe Erfolgserwartungen an die Lernenden seitens des Unternehmens gibt. 
Es bleibt zu hoffen, dass die Arbeit von Marion Rink dazu ermuntert, eine Brücke zu neuer Forschung zu schlagen. Sie ist schließlich selber mittlerweile eine zertifizierte Projektmanagerin in der IT-Branche geworden.

[1] Hartmut Rosa
[2] Bielefeld: WBV, 204 Seiten, 2021 = Sozialwissenschaften heute, Bd.7, ISBN 978-3-7639-6643-1*
[3] Ingason/Gudmundsson, 2018 oder Abushammala, 2018

*Eine englische Version finden Sie unter: https://link.springer.com/book/9783658441043

Projektmanagementtrainer der Zukunft: Guide on the Side? - Ein Bild vom Autor
Autor: Prof. Dr. Christopher Hausmann
Professur für Projektmanagement-Konzepte
Constructor University Bremen (former Jacobs University)

Zum ORCiD-Profil von Dr. Marion Rink.
Schlagworte: Projektmanagement, Meinung

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